Etwas länger hat es gebraucht, bis auf der Römischen Fundstelle „Auf der Steinmauer“ im Unterdorf eine Informationstafel steht. Nun haben dieser Tage im August die Vorstandsmitglieder des Volksbildungswerkes Kelsterbach Hubert Schöggl (Foto rechts), Siegfried Roscher (links) und Hartmut Blaum eine gemeinsam entworfene Tafel selbst montiert. Das Schild, gefertigt von der Firma GWE in Eppstein, die auch die Schilder zur Route über die Zwangsarbeit produziert, informiert mit Text und Bild über die sakrale Funktion des ehemaligen Steingebäudes „Auf der Steinmauer“.
Lange vor der Ausgrabung des Gebäudes durch die Universität Frankfurt am Main war die Fundstelle mit dem Flurnamen „Auf der Steinmauer“ bekannt. Nicht nur die sprechenden Flurnamen "Auf der Steinmauer" und "Auf dem Weilsee", abgeleitet vom lateinischen "villa", ließen eine frühere Bebauung vermuten. 2004/05 haben das Volksbildungswerk Kelsterbach e. V. in Kooperation mit der Goethe-Universität Frankfurt und der Stadt Kelsterbach unter der Grabungsleitung von Dr. Alexander Heising das Gelände untersucht, ein Teil der Funde ist im Stadtmuseum Kelsterbach in einer Dauerausstellung präsentiert. Geradezu vorbildlich und mit allen zu dieser Zeit möglichen Prospektionsmethoden war das Gelände zuvor untersucht worden, eingesetzt hatte die Firma Posselt und Zickgraf Geomagnetik, Geoelektrik und Bodenradar.
Existenzhinweise auf eine römische Besiedlung auf dem hochwassersicheren Punkt (94,3 m über NN) gaben wie gesagt stete Scherben-Lesefunde sowie auch die Flurbezeichnung „Auf der Steinmauer“. Weitere römische Funde in Form von Brandgräbern aus der Römerzeit gibt es entlang des nahen Alten Höchster Weges sowie Spuren eines römischen Bauergehöftes (villa rustica) in Frankfurt-Schwanheim, Flur „Heftgewann“. Angenommen wird eine provinzialrömische Zeit in Kelsterbach zwischen 70 und 260 nach Chr., die mit der Aufgabe des Limes als Grenze durch die Römer endet. Kelsterbach liegt im Einzugsgebiet des Legionslagers Mainz, umgeben von weiteren römischen Siedlungen in Frankfurt-Heddernheim, Hofheim, Höchst und Groß-Gerau. Sicherlich hatte das Hinterland von Mainz auch die Aufgabe, die große Legionssiedlung Mainz (Mogontiacum) zu versorgen. Anzunehmen ist mit ziemlicher Sicherheit, dass die römische Siedlungsstätte in Kelsterbach zur zivilen Siedlung Nida (heute Frankfurt-Heddernheim) gehörte und nicht zur Civitas "Aquae Mattiacorum/Wiesbaden) und auch nicht zur Civitas "Med/Dieburg". Als Grenzlinie zwischen den Civitates nördlich des Main wird der Schwarzbach im Taunus angenommen.
Nach einer gründlichen geophysikalischen Untersuchung wurde ein 10 x 20 Meter großes Gebäude lokalisiert, das mit seinen Gebäudefundamenten nur noch 30 Zentimeter unterhalb des Pflughorizontes lag und auch durch Bodenerosion und durch die landwirtschaftliche Nutzung akut gefährdet war. Gefunden wurde ein rechteckiges Gebäude mit den Maßen 11,20 x 19,20 Meter, dessen Ecken heute mit rot-weißen Pfeilern markiert sind. Die Farben sind an häufige römische Farbgebungen an Gebäuden und bei Verputz angelehnt. Es handelt sich um ein gedecktes Gebäude mit massiven Fundamenten, das geschätzt 8 bis 10 Meter hoch war, mit Schindeln gedeckt. Glas von Fenstern wurde gefunden. Im Inneren des Hauses befand sich ein Brunnen, 5,5 Meter tief, sowie eine Opfergrube. Eine Herdstelle ist nachgewiesen. Der Brunnenschacht ist bestens erhalten. Gefunden wurden darin u. a. sorgfältig abgelegte Hirschgeweihstangen. In einer 2,2 x 3,8 Meter großen, 80 cm tiefen mit Katzengold ausgelegten Grube wurden zahlreiche (30 - 35) zerschlagene Gefäße, ein halber keltischer Knotenarmreif, ein Opfermesser und Teile von Tierskeletten gefunden, zudem ein Sesterz des Kaiser Commodus, geprägt 181 n. Chr.
Vermutlich diente das Gebäude einem regionalen keltisch/römischen Kultus um den Hirschgott „Cernunnos“ (der Gehörnte). Heising spricht von einem „Kult mit Privatcharakter“. Vermutlich wurden im Gebäude Tieropfer gebracht. Anzumerken ist, dass die Funde der Töpfe und Gefäße, die im Stadtmuseum zu betrachten sind, vermutlich durch eine rituelle Zerschlagung einer profanen, sprich alltäglichen Nutzung, enthoben wurden. Spuren auf den Geweihstangen weisen darauf hin, dass sie an den Wänden des Gebäudes aufgehängt waren, das mit gebotener Vorsicht als regionale Kultstätte bezeichnet werden kann.
Der Gott Cernunnos ist in Abbildungen auf weiteren Funden des Altertums zu finden, eine kleine Statue findet sich im Römisch-Germanischen-Zentralmuseum in Mainz. Die wohl bekannteste Darstellung findet sich auf dem "Kessel von Gundestrup" (siehe Foto), auf dem der keltische Gott sitzend mit einem Hirschgeweih abgebildet ist.
Mit in die Gestaltung der Ausgrabungsstelle Auf der Steinmauer wurde auch immer wieder die "Drei" als kultische und magische Zahl aufgenommen. Die "drei" findet sich in fast allen Religionen als Kultzahl, ist für die indogermanischen/indoeuropäischen Völkerschaften jedoch prägend. Als Beispiel mag genügen: die Dreiteilung der Welt in Ozean, Erde und Unterwelt; dem entsprechen bei den Römern und Griechen die Hauptgötter Jupiter/Zeus (Hauptgott), Neptun/Poseidon (Meere und Erdbeben) und Pluto/Hades (Unterwelt und Totenreich). Bei der Bepflanzung des Fundstelle wurde die "drei" mehrfach aufgegriffen. Für die Anlage und Finanzierung der Steinmauer danken wir der Regionalpark Südwest GmbH, insbesondere dem Geschäftsführer Manfred Ockel. Die Ausführung lag beim Landschaftsarchitekten Albrecht Schaal von "grünhoch drei". Er hat aus der Sicht von VBW und Stadt eine spektakuläre und gelungene Präsentation geschaffen. Die Herstellung des Hirsch-Mosaiks danken wir dem VBW-Vorstandsmitglied Hubert Schöggl. (hb)
Literatur: Heising, Alexander, Hirschkult in Kelsterbach, 2008, ISBN - 978-3-00-026425-2